Als Du eines Tages mit Jim über die große Obstwiese schlenderst, seht ihr ein Pferdchen unter den Obstbäumen grasen. „Das ist Blitz“, sagst Du zu Jim. „Heißt es so, weil es so schnell wie der Blitz ist?“ fragt Jim. „Nein, es kam bei einem Gewitter zur Welt. Und als es -gerade geboren- im Stroh lag, noch ganz feucht, wurde der Stall durch einen Blitz hell erleuchtet. Man konnte unser Pferdchen richtig gut sehen. Und erschreckt hat es sich auch nicht bei dem Blitz“, erzählst Du ganz begeistert. „Da haben wir es Blitz genannt. Aber richtig schnell galoppieren tut es eigentlich nie. Es genießt das Grasen hier auf der großen Obstwiese.“
Ihr kommt Blitz ganz nah. Jim streichelt seine Nüstern und flüstert ihm leise ins Ohr. Blitz richtet aufmerksam seine Ohren auf und lauscht. Dann schnaubt er leise und schüttelt den Kopf. Jim streichelt ihn und flüstert weiter in sein Ohr. Du merkst, wie Blitz seinen ganzen Körper anspannt. Schließlich wiehert er leise und es sieht aus, als ob er mit dem Kopf nickt. Dann trollt er langsam davon.
„Was hast Du ihm denn da gerade ins Ohr geflüstert ?“ fragst Du Jim. „Ich habe ihn gefragt, ob er nicht mal an einem Pferderennen teilnehmen möchte. Es sei doch toll, sich mit anderen Pferden zu messen, wer wohl das schnellste ist.“
„Aber er wollte nicht und hat deshalb mit dem Kopf geschüttelt, oder?“
„Ja. Und dann habe ich ihm erzählt, dass einem Siegerpferd ein Siegerkranz um den Hals gehängt wird. Und der besteht immer aus ganz leckeren Pflanzen, die man sonst nie bekommt. Jedes Siegerpferd schwärmt immer von dem leckeren Siegerkranz. Das fand er ziemlich interessant.“
„Und deshalb hat er dann mit dem Kopf genickt?“ „Genau. Und jetzt will er sich überlegen, ob er nicht mal mitmachen möchte.“
„Woher weißt Du denn, dass die Siegerpferde den Siegerkranz so lecker finden?“ willst Du wissen.
„Das sieht man sofort, wenn man zuschaut, wie ein Siegerpferd seinen Siegerkranz genüsslich verspeist. Aber zum ersten Mal hat mir mein Vater davon erzählt. Erinnerst Du Dich? Er ist doch in Ägypten bei den Pyramiden auf einem tollen Araberhengst geritten und hat sich mit dem Besitzer Hafi (freundlicher Gastgeber) und seinem Sohn Halef (Nachfolger) angefreundet. Hafi hat meinem Vater damals unendlich viele Geschichten über Pferde und ihre Stärken und Vorlieben erzählt. Dazu gehört auch, wie sehr Pferde es lieben, neben einander herzurennen und zu versuchen, schneller zu sein als die anderen. Das kannst Du manchmal selbst sehen, wenn Du an einer Wiese mit mehreren Pferden stehst und die springen und rennen vor Freude.“
„Stimmt“, sagst Du. „Das habe ich schon mal gesehen.“
„Hafi wusste auch zu erzählen“, fährt Jim fort, „wie sehr die Siegerpferde den leckeren Siegerkranz nach einem Sieg schätzen. Hafi hat als Pferdebesitzer in 7. Generation natürlich sehr viel Erfahrung in solchen Sachen.“
„Was heißt denn in 7. Generation?“ wirst Du fragen. „Hafis Vater war schon Pferdebesitzer. Und dessen Vater, also sein Opa, auch. Und Opas Vater genauso wie Opas Opa. Und der Vater und der Opa vom OpaOpa auch schon. Da kommt man schon so auf 200 Jahre Pferdesachverstand. Und wenn die nicht wissen sollten, dass Siegerpferde den Siegerkranz so lecker finden, wer dann?“
„Und jetzt weiß Blitz es auch,“ sagst Du aufgeregt. „Da bin ich mal gespannt, wie er sich jetzt entscheidet.“
Kaum hast Du diese Erwartung ausgesprochen, kommt Blitz langsam zu Euch beiden zurück. Er stupst Jim sanft mit seinen Nüstern an, wiehert leise und nickt ein wenig mit dem Kopf. Ihr freut Euch sehr und plant sofort, wie Blitz an einem Pferderennen teilnehmen kann.
Einen Monat später ist es soweit: Bitz steht mit mehreren anderen drei Jahre alten Pferden auf einer riesig großen Wiese vor einem Seil, das zwischen 2 großen Bäumen gespannt ist. Sie warten auf das Startsignal. Schließlich erscheint Zabu, der mit Jim gemeinsam in die große Stadt in dem großen Land mit der immer guten Laune gekommen ist. Er war als Ehrengast gebeten worden, das Startsignal zu geben. Als er mit seiner großen Gestalt in seinem langen Gewand und mit seinem langen Stab auf die Pferdegruppe zugeht, werden die Pferde ganz ruhig. Er spricht leise zu ihnen.
„Weißt Du, was er gerade zu den Pferden sagt?“ fragst Du Jim. „Genau weiß ich es nicht. Aber ich denke, er erklärt ihnen, dass es ein großes Vergnügen ist, sich untereinander zu messen und dass keiner am Ende traurig sein soll, wenn er nicht gewonnen hat. Alle seien ja noch jung und es gebe noch viele Rennen, bei denen man gewinnen könne. Wichtig sei der Spaß heute.“
Und schon hebt Zabu den langen Stab hoch, alle Pferde schnauben und wiehern durcheinander. Zabu lässt den Stab runterschnellen, das Seil fällt auf den Boden. Zabu ruft laut: „Los !“
Und sogleich rennen alle Pferde los auf die lange Strecke über die riesengroße Wiese vor der großen Stadt in dem großen Land. Die Strecke biegt nach einer ganzen Weile vor einem Wald nach links ab und dann müssen alle vor einem Fluss wieder nach links, um an der Stelle, an der sie gestartet sind, durchs Ziel zu kommen. Zwischen den beiden großen Bäumen.
Blitz hält sich zu Beginn ganz gut. Aber viele Pferde sind schneller als er. Wahrscheinlich haben sie schon länger als er für dieses Rennen trainiert.
Ihr verfolgt das Rennen aufgeregt und erzählt Euch gegenseitig, wie Blitz rennt, wie er überholt wird, wie er zurückfällt. Ob er wohl noch Chancen hat aufzuholen?
Ihr bemerkt gar nicht, dass vor Euch im Gras ein grüner Grashüpfer, eine bunte Libelle und eine schwarz-gelbe Biene sitzen und Eure aufgeregten Bemerkungen mitbekommen. Greg, der grüne Grashüpfer, zwinkert Libby, der bunten Libelle und Willi, der schwarz-gelben Biene, zu: „Da müssen wir wohl helfen, oder was meint Ihr?“ Begeistert stimmen Libby und Willi zu. „Wäre ja nicht das erste Mal, dass wir uns kümmern müssen. Und schade, wenn so ein Talent wie Blitz schon gleich bei seinem ersten Rennen die Lust am Pferderennen verlieren würde“, sagt Willi. „Also auf geht’s,“ ruft Greg und alle drei schwirren ab in Richtung Rennstrecke. Ihr seht nur drei Insekten durch Euer Blickfeld weghuschen.
Die drei Freunde sausen in gerader Formation auf die galoppierenden Pferde zu. Schnell haben sie Blitz entdeckt. Greg und Libby bleiben in der Luft in Warteposition, Willi fliegt auf Blitz zu und setzt sich hinter sein Ohr. Blitz schüttelt den Kopf, um die Biene abzuschütteln. Aber Willi ist rennerprobt. Er krallt sich fest ins Fell und summt Blitz ins Ohr:
„Summ, Summ, Summ, Summ, Summ.“
„Das ist doch die berühmte Melodie aus dem Gute-Laune-Land!“ wirst Du sagen. Jawohl. Und gute Laune ist nun einmal der beste Antrieb. Das wissen im Gute-Laune-Land alle, und zwar seit mindestens der 7. Generation.
Blitz hört das Summen und legt gleich gut gelaunt an Geschwindigkeit zu. Schon überholt er die 4 vor ihm rennenden Pferde. Willi ist zufrieden und überlässt Greg, dem grünen Grashüpfer, den nächsten Einsatz.
Der hüpft auf Blitz‘ Kopf und landet ebenfalls hinter einem Ohr. Er zirpt Blitz ins Ohr, dass man im Gute-Laune-Land vor lauter guter Laune und Freude am Liebsten in die Lüfte springen möchte. Aber heute soll er am Besten nicht so hoch hüpfen, sondern einfach mal kräftig nach vorne. Blitz lässt sich das nicht zweimal sagen, verstärkt seinen Galopp durch gewaltige Freudensprünge nach vorne und lässt gleich 5 weitere Pferde hinter sich. Greg lächelt vor Freude über seinen Erfolg.
Und schon macht sich Libby, die bunte Libelle, bereit zum Anflug auf Blitz. Libby setzt sich nicht hinter ein Ohr, sondern fliegt vor Blitz‘ Kopf. Genau in Augenhöhe. Er dreht Blitz seinen Kopf zu, fliegt also rückwärts vor ihm und ruft ihm zu: „Ich bin der Hubschrauber unter den Tieren. Ich halte mich jetzt direkt vor Dich und gebe Dir mit meinen Flügeln die Richtung und die Geschwindigkeit vor. Du musst gar nicht auf die Strecke achten und bleibst einfach an mir dran. Ich leite Dich ins Ziel und zum leckersten aller Siegerkränze. Auf geht’s!“ ruft Libby, dreht sich um und rast auf der Höhe von Blitz‘ Kopf los.
Blitz konzentriert sich nur noch auf die bunte Libelle vor sich und kann seine ganze Kraft und Energie in die Schnelligkeit stecken.
Die Zuschauer wundern sich, dass Blitz nach einer so langen Strecke auf einmal kurz vor dem Ziel noch so viel schneller werden kann. Er lässt die letzten vor ihm rennenden 6 Pferde eines nach dem anderen hinter sich und galoppiert in atemberaubender Geschwindigkeit auf das Ziel zwischen den beiden großen Bäumen zu. Zabu lässt an der Ziellinie stehend seinen langen Stab runtersausen, um damit festzustellen, dass Blitz als erstes Pferd durchs Ziel gerannt ist. Danach folgen nach und nach die anderen Pferde.
Blitz schnaubt außer Atem hinter der Ziellinie und trinkt erstmal aus der Wassertränke, als Jim und Du zu ihm laufen und ihn herzen und streicheln. Ihr hört gar nicht mehr auf, ihn zu bejubeln und ihm zu gratulieren. Was für eine Freude bei allen. Sogar die anderen Pferde freuen sich mit Blitz, kommen zu ihm und stupsen ihn sanft an. Damit erweisen sie ihm ihre Anerkennung, dass er gleich bei seinem ersten Rennen gewonnen hat. Blitz kann es selbst gar nicht fassen. Fast hätte er vor lauter Freude vergessen, warum er eigentlich ursprünglich an dem Rennen teilgenommen hat.
Aber da kommt auch schon der große Zabu auf ihn zu, spricht leise in sein Ohr und verkündet dann laut:
„Sieger des heutigen Rennens ist Blitz.“
Alle jubeln, die anderen Pferde wiehern laut und Blitz lässt schnaubend den Kopf auf und abtanzen.
„Hiermit überreiche ich Dir den heutigen Siegerkranz,“ sagt Zabu und hängt ihn Blitz um den Hals.
Blitz ist schon ganz betört von den Düften der Pflanzen, aus denen der Siegerkranz besteht. Er beschließt, nicht gleich über den Kranz herzufallen, sondern ihn abends auf der Obstwiese zu genießen.
Niemand hat die drei Insekten bemerkt, die sich bei der Siegerzeremonie in der Nähe von Blitz aufgehalten haben. Greg, Libby und Willi genießen auch Blitz‘ Erfolg und lächeln sich zwinkernd zu.
Abends sitzt Du mit Jim wieder einmal auf den von der Sonne gewärmten Steinen vor Deinem Haus, in dem Zabu und Jim immer noch Gast sind. Ihr seht in einiger Entfernung, wie Blitz im Gras der Obstwiese liegt und ganz genussvoll und sehr langsam den Siegerkranz verspeist.
Was Ihr nicht sehen könnt, sind die drei Freunde Greg, Libby und Willi, die Blitz eingeladen hat, an seinem Mahl teilzuhaben. Und so pieken die 3 Freunde auf kleinen Blättern und Blüten herum und laben sich an der Leckerei.
„Sag mal, Willi,“ sagt Blitz. „Vor einiger Zeit war mal eine Biene hier auf der Obstwiese unterwegs, die sich Maja nannte. Und die erzählte von ihrem Freund, den sie immer den trägen Willi nannte. Bist Du das?“ „Nee,“ antwortet Willi. „Das ist mein Onkel Willi. Der ist jetzt schon hundert Jahre alt. Aber träge ist der gar nicht. Auch jetzt in seinem hohen Alter nicht. Vor allem aber ist er bis heute neugierig und kann wirklich viele Geschichten aus seinem Leben erzählen.“
„Warum hat die Biene Maja denn Deinen Onkel den trägen Willi genannt?“ will Blitz wissen.
„Gegen die schnelle Maja ist jede andere Biene träge“, antwortet Libby für Willi.
„Was sind denn das für Geschichten, die Onkel Willi aus seinem Leben erzählen kann?“ wirst Du fragen. Die hebe ich mir für später auf.
„Und aus welchen Pflanzen besteht nun der Siegerkranz?“ willst Du noch wissen.
Das erzähle ich Dir ein anderes Mal.
Gute Nacht.
Horst Piepenburg
23. Mai 2021